Erfahrungen mit Kontrolle und Kritik
Yalda • 14. Oktober 2020
Und heute möchte ich in den Boden kriechen

Gastautorin Yalda schreibt hier zum Thema Umgang mit Kritik im Lehrer:innenberuf.
Probleme und Konflikte sind im Lehrberuf an der Tagesordnung. Das liegt in der Natur der Sache: LehrerInnen und Lehrer haben es mit unfassbar vielen Menschen zu tun und überall dort, wo Menschen sind, existieren dementsprechend viele „Brillen“ aus denen sie die Welt wahrnehmen. Im LehrerInnenberuf zeigen sich die Brillen in den Ansprüchen darüber wie Unterricht/eine LehrerInnenpersönlichkeit/Classroommanagment sein sollte.
Zum Beispiel kann es auf einem Elternabend passieren, dass Eltern Kommentare machen, bei denen man selbst das Gefühl bekommen kann, dass sich jemand von außen, der eigentlich nichts mit der Situation zu tun hat, in die Unterrichtsführung einmischt. „Ohje, es schaut jemand auf die Finger“. Klar, könnte man sich in solchen Situationen innerlich und äußerlich abgrenzen, also zum einen – wie ich bereits in einem vorherigen Artikel sagte – sein innerer Buddha sein, oder dem Gegenüber zum anderen freundlich und bestimmt klarmachen, dass man seinen Job schon ganz gut macht und die Situation genauso gut ist, wie sie ist. Doch das ist nicht immer einfach.
Ich stelle selbst an vielen Tagen fest, dass ich Vieles noch persönlich nehme. Obwohl ich in meinem Kopf genau weiß, dass es zu keinem Zeitraum nur Lob und positives Feedback geben wird und es immer auch die andere Seite gibt – und das ist gut so –fühlt mein Herz dies an solchen Tagen dennoch nicht ganz. Ich muss mir immer wieder vor Augen halten: Konflikte sind zum lernen da!
Einmal wollte beispielsweise meine Schulleitung bei mir hospitieren kommen und dann ging “Bullshit-Fm“ in meinem Kopf los: Was ist an meinem Unterricht nicht gut genug? Ein anderes Mal hat sich eine Mutter über einen Satz, den ich zu ihrem Kind gesagt habe, beschwert und meine pädagogische Kompetenz in Frage gestellt.
Ich hätte anstatt der negativen Gedanken auch einfach positive oder wertneutrale denken können. Gedanken wie „Ach wie schön, dass meine Schulleitung sich Zeit nimmt mir Feedback zu geben. Ihre Zeit ist sowieso begrenzt und die Feedbackkultur in der Schule ist häufig eh noch ausbaufähig.“ oder „die Mutter sorgt sich sehr um ihr Kind. Ich auch, aber dann müssen wir definitiv noch an unserer Kommunikation arbeiten.“ hätten mir an guten Tagen durch den Kopf schießen können. Die Glücksforschung hat herausgefunden, dass 40 % des täglichen Glücks, das wir erleben eine eigene Entscheidung ist und diese hängen aktiv mit den eigenen Gedanken zusammen. (1)
Naval Ravikant hat mal gesagt: „Der wichtigste Trick, um glücklich zu werden, ist zu erkennen, dass dein persönliches Glück eine Wahl ist, die du triffst, und eine Fähigkeit, die du entwickelst. Du triffst die Entscheidung, glücklich zu sein, und dann arbeitest du daran.“(2)
Insgesamt kann mal also sagen: Es gibt noch unendlich viel Raum innerlich zu wachsen, denn überall wo Kritik und Konflikte sind, ist auch Wachstum und die Möglichkeit sich neu zu positionieren, bzw. sich ein „dickeres Fell“ zuzulegen, Abgrenzung zu lernen, oder die eigene Kommunikation zu verbessern. Ich gehe einfach davon aus, dass du gerade weißt wovon ich rede und bestimmt auch schon unzählige solcher Situationen erlebt hast.
Ein paar hilfreiche Fragen für dich
Ich habe ein paar hilfreiche Fragen für dich zusammengestellt, die du dir stellen kannst, wenn du dich gerade in einer Situation befindest, in der du dich kritisiert oder kontrolliert fühlst. Wir möchten ja natürlich, dass es dir gut geht und somit ist das Schaffen eines Bewusstseins der erste Anstoß in dem Prozess glücklich und zufrieden zu werden. Wenn du dich momentan in ähnlich wie der o.g. Lage befindest, nimm dir jetzt einen Stift und einen Zettel zur Hand und beantworte schriftlich diese Fragen und hänge sie auf. Das schafft ein tieferes Bewusstsein für die Situation und was in dir vorgeht.
Wie geht es mir gerade selbst?
Wie dick ist meine Haut gerade? Ist meine Wahrnehmung momentan eingefärbt, weil ich grundsätzlich gestresst bin? Gibt es Faktoren, die mein innere Zufriedenheit schwächen?
Macht diese Person nur ihren Job oder geht es wirklich um mich?
Die Schulleitung z.B. hat eben die Aufgabe „nachzuprüfen“, ob Dinge gut laufen und nach Problemfeldern zu suchen. Aber woher soll ich wissen, wie genau die Schulleitung mit anderen KollegInnen umgeht? Ich werde wahrscheinlich in 90% der Fälle nicht dabei sein, wenn sie oder er mit meinen KollegInnen spricht. Genauso müssen die Eltern gewährleisten, dass es ihrem Kind gut geht. Es ist ihr „Job“ zu schauen, ob ihr Kind gut versorgt ist und ob auch ich als Lehrperson allen Anforderungen gerecht werde, die an mich gestellt werden, damit die Bedürfnisse des Kindes – also das Grundrecht auf Bildung –auch gewährleistet ist.
Und wenn die ersten beiden Fragen in einer solchen Situation nicht ausreichen sollten, stelle dir Folgendes vor: Du befindest dich in deiner Wohnung. Du bist allein und innerlich vollkommen zufrieden, denn du bist an deinem Wohlfühlort, der warm, gemütlich, hell und dir angenehm erscheint (wenn du einen anderen Wohlfühlort hast, dann kannst du dir optional auch diesen vorstellen). Halte diesen Moment vor deinem geistigen Auge fest. Stelle dir dann folgende Fragen
Für wen würdest du beim Klingeln die Tür aufmachen? Den Postboten? Einem freundlichen Nachbarn? Für wen würdest nicht du dies wiederum nicht tun? Wahrscheinlich würdest du nur das Schloss entriegeln, wenn derjenige einen wirklich guten Grund hat vor deiner Tür zu sein. Genauso ist es mit Kritik. Stell dir nun vor, dass dein Gehirn oder dein Herz eine Tür hat, die du auch verschließen kannst. Du kannst nur nette Worte hineinlassen, selbst wenn jemand an die Tür hämmert, hält diese Tür dem hämmernden Wortschlag/Faustschlag stand und nur du hast den Schlüssel die Person in dein innerstes zu holen.
Ist die Kritik auf der Sachebene wirklich gerechtfertigt?
Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass Vieles, was Menschen sagen Ausdruck ihrer selbst ist, ihrer eigenen Ängste, Sorgen und Projektionen. Beispielsweise, wenn jemand sich selbst jeden Tag motiviert, jedes Arbeitsblatt bis zur Perfektion hin zu gestalten, wird er das höchstwahrscheinlich auch von seinem Gegenüber einfordern. (Mal ganz abgesehen davon, dass ein Perfektionsdrang im Lehrerberuf für die einzelnen LehrerInnen schädlich sein kann). „Deine Arbeitsblätter sind zu wenig übersichtlich“ könnte indirekt ausdrücken „ich mache mich selbst mit allen möglichen Detailles fertig und bin frustriert, dass jemand anderes auch funktionale Arbeitsblätter mit weniger Aufwand erstellt“. Wenn „KritikerInnen“ während ihrer Äußerungen den Ton verfehlen, darf ihm/ihr das natürlich gerne gespiegelt werden. Sieh es mal so: Auch das Gegenüber bekommt hier einen Moment der Selbstreflexion geschenkt. Je weiter die Hierarchieebenen hier auseinander gehen (z.B. Schulleitung kritisiert Lehrkraft), desto schwieriger fällt die eigene Abgrenzung. Auch wenn Abgrenzung Mut und Überwindung kostet, lohnt sich die Arbeit, denn klare Grenzen helfen dir dich nicht selbst zu verlieren.
Was kannst du jetzt lernen?
Wenn die Kritik einen wahren Kern trifft, umso besser! Fehler verändern nicht den Wert eines Menschen, sie zeigen lediglich Potenzial für Bewegung, Veränderung, Wachstum an und zeigen neue Strategien auf, die du auf Dauer anwenden kannst. Und egal, wie es sich gerade anfühlt: „Du bist gut genug“! Und seien wir ehrlich: Der Lehrberuf ist herausfordernd. Wie kann man in diesem Beruf (oder sonst irgendwo) keine Fehler machen? Wir alle machen Fehler, das geht gar nicht anders. An dieser Stelle trifft aber auch ein gesellschaftliches Problem auf das System Schule. Niemand spricht gerne über Fehler und Scheitern! Dabei gehören sowohl Erfolg als positive Seite wie auch Scheitern als negative Seite der Medaille zum Leben dazu.
Vielleicht trifft das Scheitern uns häufig sogar noch stärker. Hinter jedem Erfolg stehen unzählige Misserfolge und die Misserfolge lösen bei jeder weitere Erfahrung des Scheiterns negative Gefühle aus und sorgen dann ggf. für ein niedrigeres Selbstwertgefühl. Dass aber viele Misserfolge notwendig sind, um zum Ziel zu kommen, macht man sich nur nicht immer bewusst! Kein Mensch sieht, wie viele Misserfolge der erfolgreichste Unternehmer hatte, bis er oder sie erfolgreich ist. Ein bewegendes Beispiel: Thomas Edison, ein US-amerikanischer Erfinder und Unternehmer, brauchte über 1000 Versuche, um die Glühbirne zu erfinden. Man fragte ihn, ob ihn das nicht frustiert habe, dass er so viele Misserfolge hatte und warum er dennoch weiter seine Forschungen vorantrieb. Seine Antwort ist meiner Ansicht nach grandios: „Ich habe nicht versagt. Ich habe nur 10000 Wege gefunden, die nicht funktionieren“(3). Ohne sein Engagement säßen wir nun im Dunkeln. Glück und Zufriedenheit ist definitiv eine Frage der Perspektive.
Die innere Haltung einer positiven Fehlerkultur wird nicht von jeder Schulleitung transportiert und/oder mitgetragen, weswegen es umso wichtiger ist, sie für sich zu entwickeln und hochzuhalten und ggf. nach außen zu kommunizieren, denn wirklich niemand ist perfekt. Das menschliche Gehirn neigt aber dazu, die eigenen größten Schwächen mit den wahrgenommenen größten Stärken anderer zu vergleichen. Das ist höchst gefährlich und hier lohnt es sich ehrlich hinzuschauen (auch in den eigenen Kopf). Vergleichen ist Mist. Es sei denn du magst gerne Giftpillen gegen gute Laune?
Und zum Schluss:
Insgesamt finde ich es für den Lehrberuf hilfreich und sogar existenziell einen neugierigen und positiven Blick auf Auseinandersetzung zu entwickeln. Und Konflikte innerlich von „erschreckend“ zu „interessant “ zu schiften. Einfach mal „ja“ sagen. Charly Chaplin bringt es in der Rede zu seinem 70 Geburtstag auf den Punkt:
„(...) Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen, Konflikten und Problemen mit uns selbst und anderen fürchten, denn sogar Sterne knallen manchmal aufeinander und es entstehen neue Welten.“(4)
Quellen:
(1) The How of Happiness“ by Prof. Sonja Lyubomirsky (2008) Riverside University California
(2) https://glueckstweets.wordpress.com/2018/04/23/gluecksentscheidung/ (letzter Zugriff 20.9.2018)
(3) http://www.spiegel.de/karriere/erfindungen-gelingen-nur-durch-mut-zum-scheitern-a-932332.html (letzter Zugriff 14.9.2018)
(4) https://sich-leben.com/charlie-chaplins-weisheit/ (letzter Zugriff 14.9.2018)