Gedanken zu den Tarifverhandlungen

Carolin • 5. März 2019

Money Mindset und Gründe, warum mehr Geld vollkommen okay ist


  • Die Tarifverhandlungen sind durch. In den nächsten 33 Monaten gibt es stufenweise 8 % mehr Gehalt. Aber ich habe die Wochen viele Gedanken gehabt und Gespräche zu besagtem Thema geführt. Somit dieser Artikel.

BezirkslehrerInnenversammlung

Letzte Woche war ich wieder einmal bei der BezirkslehrerInnenversammlung meines Berliner Bezirks. Ich saß als stellv. Vorsitz vorne, tippte fleißig das Protokoll, während der Personalrat, der gleichzeitig in der Tarifkommision saß, beschrieb, warum es wichtig sei zu streiken und es vollkommen okay ist mehr Geld zu verlangen. Er begann direkt als Teaser mit der Eingangsdiskussionsfrage: Warum streiken wir eigentlich für mehr Geld? Was bringen uns diese sechs Prozent mehr Lohn? Auch ich habe mich in letzter Zeit viel mit dieser Frage mit KollegInnen, SchülerInnen und meiner Familie auseinandergesetzt. Mit KollegInnen zum einen, da ich streiken ging und dafür warb, dass sie dies doch ebenfalls tun könnten/sollten, streiken doch total wichtig sei und sowieso sollte man sich doch gegenseitig unterstützen. Laut Aussage des Personalrats gibt es viele LehrerInnen, die nicht genug Motivation aufweisen, für Geld auf die Straße zu gehen. Dieselben Argumente, die er als Motivationsloch beschrieb, stellte ich ebenfalls in den Gesprächen mit angestellten KollegInnen fest, die versuchten ihren Streikunmut zu beschreiben. Die strukturellen Probleme seien und erscheinen doch größer, beschrieben sie. Das eigentliche Problem sei doch die Arbeitszeit und die maroden Schulen, die einer besseren Ausstattung bedürfen. Es fielen schon oft Sätze wie (ob zynisch oder ernst gemeint): „ Vielleicht mal ein neuer PC für die Klasse! Das wäre doch schön. Oder das Smartboard, das nur manchmal funktioniert, endlich repariert zu wissen. Endlich mal in Räumen zu unterrichten, die für die SchülerInnenzahl auch ausgelegt sind. Experimentierplätze für alle und nicht nur für 24 von 35 SchülerInnen. Hach wie fein das wäre . Das ging doch zu Nachkriegszeiten auch. Da sind doch auch alle SchülerInnen groß geworden und konnten in diesen Räumen arbeiten .“ Im selben Atemzug fiel dann aber wieder folgendes: „ Aber naja. Es geht einem doch vollkommen okay. Irgendwie. Wir kriegen doch genug Geld. Wir sind doch in Berlin bereits in der höchsten Erfahrungsstufe, also warum sollen wir uns verdammt nochmal beschweren? Dafür auf die Straße gehen? Naja. Ich weiß ja nicht. Okay. Abgesehen von der Arbeitszeit, den strukturellen Problemen und den ganzen Kosten, die man für Materialien, eigene Arbeitsgeräte und Möbel für die SchülerInnen so ausgibt. Mal abgesehen von der wenigen Freizeit, die man hat. Aber das ist ja nun einmal alles so.“ Das könne man ja nicht ändern, hieß es in den Gesprächen mit meinen KollegInnen. Und wenn sie ehrlich seien, hätten sie auch keine Zeit zu streiken, da man ja kurz vor den Abiturprüfungen stünde und die SchülerInnen Betreuung bräuchten und das Jahr ja sowieso so kurz sei. Ihr merkt. Ich bin hier in diesem Artikel selbst etwas zynisch.

Von Vorurteilen und gesellschaftlichen Glaubenssätzen

Ich hörte im Radio ebenfalls Äußerungen von befragten BerlinerInnen, die kein Verständnis für streikende Lehrkräfte hatten. Mehr Geld? Wozu? Und sowieso: viel zu viel Ferien. Während der Interviews auf Radio Eins wurde dann auch noch gesagt, dass die Person zwar den Job nicht machen würde, da viel zu anstrengend. Und da fängt das Problem bereits an. Sind wir doch mal ehrlich: das Klischee des/der Lehrers/Lehrerin, der/die vormittags Recht und nachmittags frei und insgesamt 11 Wochen Ferien im Jahr hat, sich einen „Lauen Lenz“ macht und direkt von der Schule mit gepackten Koffern, die er/sie im LehrerInnenzimmer bunkerte, in die Sonne fliegt, hat sich in den Köpfen der Gesellschaft festgesetzt. Ich kenne aus meiner eigenen Erfahrung keine LehrerIn, die mit oben beschriebenen Klischees und dem damit einhergehendem abwertenden Unverständnis noch nie konfrontiert wurde. Und ganz ehrlich: das macht etwas mit einem selbst. Wenn ich damals solchen Klischee-Äußerungen ausgesetzt wurde, versuchte ich zunächst den Gegenüber zu überzeugen. Darzustellen wie viel ich doch arbeite. Ich fragte mich selbst, ob ich nicht eigentlich zu wenig arbeite und ob das Gehalt gerechtfertigt sei, das LehrerInnen bekommen. Mir wurden durch solche gesellschaftlichen (t’schuldigung) Bullshit-Äußerungen selbst Glaubenssätze eingehämmert, die mich an mir selbst haben zweifeln lassen und dafür sorgten, dass ich wie selbstverständlich ganz viel arbeitete, um mein Geld gesellschaftlich „fair“ zu verdienen. Ich habe ja die Ferien als sogenannte „freie Zeit“, um mich zu erholen. Mittlerweile rechtfertige ich mich weder vor anderen für meine verdiente Freizeit, noch bin ich der Meinung, dass ich zu viel Geld für meine geleistete Arbeit verdiene.

Jedoch steckt leider dieser Glaubenssatz noch in vielen LehrerInnen und Lehrern. Schauen wir uns die Burnout-Statistiken an. Ein Drittel der LehrerInnen soll während des Ausübens des Berufs vom Burnout betroffen sein. Aber warum überhaupt? Wir haben doch ständig Ferien! Ich denke ihr wisst alle, dass das ein überholtes Denken und überzeichnetes Bild darstellt, von einem Menschen, dem ich nie begegnet bin. Wenn ich mich umsehe, dann sehe ich viele tolle Menschen, die sich einsetzen für das, was sie lieben: nämlich ihren Job. Ihre SchülerInnen und das TROTZ der teils extremen strukturellen Bedingungen. Die alles tun, was sie können, damit Unterricht stattfindet. Menschen, die sich ständig selbst weiterbilden. Menschen, die gerne mehr tun würden, aber das Gefühl haben, dass das System als Damokles-Schwert über ihnen hinge und jeder Zeit droht herabzufallen und die kleinen mühsamen Schritte, die sie zur Verbesserung der Lage tätigten mit einem Mal zerstören. Menschen wie z.B. mein Kollege, der dem Fachbereich 16 Laptops spendete, damit die SchülerInnen die Möglichkeit haben mit modernen Medien zu recherchieren. Menschen, wie ein anderer Kollege, der seinen Klassenraum auf EIGENE KOSTEN neu strich. Die KollegInnen meines Fachbereichs die, wie ich am Wochenende und in den Ferien Möbel aufbauen und/oder das LehrerInnenzimmer neu streichen. Ich selbst habe bereits auf eigene Kosten Möbel, Stifte und Einrichtungsgestände für meine eigene Klasse gekauft. Als ich letztens den Tweet von @Heike_land „mein Mann und ich haben seit dieser Woche Tablets für die Arbeit. Der Unterschied: Meinem Mann wurde das Gerät vom Arbeitgeber bereitgestellt.“ las, musste ich schmunzeln. Ich kaufte mir, nachdem mein Laptop letztes Jahr den Geist aufgab, ebenfalls einen neuen. Auch ein neues iPad mit Stift für den Unterricht. Moderner Unterricht und so. In der freien Wirtschaft auf eigene Kosten Laptops oder Möbel für die „Firma“ kaufen? Welcher Arbeitnehmer würde das mitmachen? Dass es aber gängige Praxis in vielen Bildungseinrichtungen ist (und ich spreche hier nicht nur von Schulen), ist dann also für die Gesellschaft okay?


Meine Hauptargumente für mehr Gehalt:

Also warum denken, dass man als LehrerIn „zu viel Geld“ bekäme? Es gibt in der Tarifdebatte viele Argumente, die für mehr Gehalt sprechen: vom Ausgleich der Gehaltslücke zwischen Angestellter/m und Verbeamteter/m, die sich insbesondere in der Rente niederschlägt, bis hin zur Übertragung der Tarife auf BeamtInnen. Aber, wenn ich ehrlich bin, denke ich, dass wir alle sowieso keine Rente mehr bekommen. Das Argument zählt also für viele andere mit denen ich darüber sprach nicht. Somit scheint es hierfür nicht ganz so attraktiv, auf die Straße zu gehen. Und verbeamtet bin ich auch nicht. Logisch. Als Beamtin dürfte ich ja auch nicht streiken.

Ein schönes Argument, welches letzte Woche beim BezirkslehrerInnenausschuss formuliert wurde, lautet jedoch wie folgt: „Wir kompensieren die strukturellen Probleme des Landes mit unserem eigenen Geld. Kaufen z.B. Materialien, Möbel oder sonstiges. Schon allein deshalb sollte kein schlechtes Gewissen bestehen auf die Straße zu gehen und für mehr Gehalt zu streiken.“ Meiner Meinung wäre es selbstverständlich der Optimalfall, wenn diese Probleme abgeschafft würden, jedoch kann in Tarifverhandlungen nur eine bessere Bezahlung gefordert und zum Gegenstand der Verhandlungen gemacht werden. Geht man jedoch auf die Straße, können besagte Probleme im Protestmarsch mitkommuniziert werden.

Ein weiteres für mich persönlich wichtiges Argument ist die Arbeitszeit. Ich habe dieses Jahr entschieden ab kommendem Schuljahr 2019/2020 für ein Jahr meine Stunden von 26 Unterrichtsstunden auf 20 zu reduzieren. Ich habe unzählige Extraaufgaben, die sich jedoch nicht in der Reduktion meiner Unterrichtsstunden oder sonstigem niederschlagen, sondern „mal eben“ nebenbei laufen. Diese Aufgaben reichen vom Aufsetzen der Laptops der Chemie, dem Vorsitz des BezirkslehrerInnenausschusses, der Brandschutzbeauftragten der Schule, der Administratorin des Schulnetzwerks bis hin zur Referendarsbetreuung. Bei letzterer ist es so, dass ich mich freiwillig neben meinem üblichen Stundendeputat in den Unterricht der ReferendarInnen setze und dieser Rückmeldung gebe. Nach jetzt drei Jahren voller Stelle mit einer üblichen Durchnittsarbeitszeit von 60 h pro Woche bin ich nun an dem Punkt angelangt, an dem ich mein Privatleben einen größeren Fokus geben möchte. Ich kaufe mir also Zeit durch mehr Geld, das ich bekomme. Obschon ich ja eigentlich meine Stundenanzahl reduziere und somit weniger Geld bekomme. Auch eine schiefe Argumentation. Da die grundsätzlichen Bedingungen im Optimalfall (ihr seht: ich rede hier momentan vom zunächst einmal unerreichten Optimum) so aussehen müssten, dass jede(r) seine/ihre Arbeit mit einer vollen Stelle zu seiner/ihrer Zufriedenheit erledigen können müsste. Dass das aber in der Praxis zumeist nicht so aussieht, ist kein Geheimnis. Daher ist für mich das „Zeit-Kaufen-Argument“ dieses Jahr das wohl Wichtigste.

Was meines Erachtens in der Gesellschaft jedoch viel zu wenig in den Vordergrund gerückt wird ist das Argument der guten Entlohnung für gute Arbeit als Zeichen der Wertschätzung. Mal ehrlich. Demut ist super! Aber Demut oder vielleicht auch die gesamt­gesellschaftlichen Äußerungen, dass wir LehrerInnen für unser Geld deutlich mehr arbeiten müssten, führen auch dazu, dass wir die Einstellung aufweisen nicht mehr zu verlangen, als wir verdienen. Häufig sind wir geneigt bloß nicht zu viel zu verlangen, da man ja etwas „neiden“ könnte. Anderen Berufsgruppen geht es ja noch schlechter. Selbstverständlich. Schaue ich mich in meiner Familie um, geht es anderen Berufsgruppen deutlich schlechter. Ist das aber ein Argument sich und seine eigene Arbeit an denen anderer Berufsgruppen zu messen oder sich gar schlechter zu stellen? Sind wir es also nicht wert für unsere Arbeit besser entlohnt zu werden? Letztlich sagen diese Gedanken etwas über unsere eigene Einstellung zu Geld aus, über unser sog. „Money Mindset“. Und das hat zum einen mit Selbstliebe zu tun. Das hat damit zu tun, dass man selbst denkt, dass man mehr wert ist, als das, was man bekommt. Geld ist letztlich weder gut noch schlecht. Es ist lediglich Energie, wie Laura Seiler sagen würde. Es ist eine Wertschätzung und eine Entlohnung für Energie, die wir in eine Dienstleistung stecken. Und da ich weiß, dass ich jeden Tag Energie in meine Arbeit gebe und meinen Job so gut es mir möglich ist mache, bin ich auch wert für diese Energie bezahlt zu werden.