Methode – Wie ich in Triggersituationen mit Schüler:innen umgehe

Carolin • 14. August 2021

Oder auch: wie ich lernte bei mir selbst anzukommen

Eine von vielen Methoden und meine eigenen Baustellen
Wer kennt es nicht? Es gibt Situationen, in denen man selbst nicht ganz in der eigenen Kraft ist, Schüler:innen Dinge sagen, die dir gerade gar nicht in den Kram passen, dich verletzen, deine eigenen Grenzen überschreiten und sich alles gerade fühlt, als wäre man ein Fass, dass gerade kurz vorm Überlaufen ist? Mein damaliger Fachseminarleiter hat mal einen Satz in meinem Referendariat gesagt, der mir nachhaltig hängen geblieben ist: „Schüler:innen werden dir immer eine Palme hinstellen, doch die hohe Kunst ist es nicht bei jeder Palme, die sie dir hinstellen, gleich hinauf zu klettern.“ Er liefert hiermit bereits eine Lösung zu vielen Problemen die sich im Schulalltag stellen: die Impulskontrolle. Doch wie macht man das eigentlich konkret? 
Es gab Situationen, in denen ich mich ausgeliefert fühlte, nicht wusste wie ich mit einer Situation umgehen sollte und ich noch nicht an dem Punkt war, an dem ich mich so viel reflektiert und mir meine Themen angeschaut habe, dass ich wusste warum genau ich in diesem Moment getriggert bin. Ich merkte in solchen Triggersituationen wie mir grad die Wut gerade hochsteigt. Ich hab natürlich damals bereits verstanden – und ich hoffe, dass es wir uns alle einig sind – dass „anschreien“ und „entgegnen“, also – wie mein Fachseminarleiter vor etlichen Jahren sagte – „auf die Palme steigen“, nicht die Lösung in der Kommunikation mit Schüler:innen sein konnte. Mir war klar, dass mein Classroom-Management anders aussehen sollte und eine „unkontrollierte Gegenantwort“ mehr über mich aussagt, als über die Person, die mich gerade triggerte. Zum einen, da ich mir selbst nicht über meine Themen bewusst bin, diese auf andere Personen projiziere, ich mich dann eher mit meinen Gefühlen der Hilflosigkeit, Angst (oder was auch immer in dem Moment dahinterstecken mag) auseinandersetzen sollte, anstatt zurückzuschlagen oder herumzuschreien, zum anderen, da es ein Missbrauch meiner Macht als Lehrperson ist und wir als Erwachsene eine Verantwortung Schutzbefohlenen gegenüber haben. Alles in allem: das Verhalten wäre vollkommen unprofessionell. Tja. Wir sind nun einmal auch alle Menschen und somit auch durch das Mensch-Sein per Definition unperfekt.
Während ich mich selbst mit mir und meinen Themen auseinandersetzte, anfing zu meditieren, viel über psychologische Forschung lernte, stieß ich außerdem auf eine Methode, die mir in solchen Trigger-Situationen half, in denen ich nicht ganz genau wusste was nun bei mir selbst los war, den Schüler:innen ruhig und freundlich zu bleiben: die Metta-Meditation. 
Manchmal ist es so, dass man in Trigger-Momenten nicht ganz reflektieren kann, was gerade das Problem ist, da man in solchen Situationen zu sehr mit dem eigenen Gefühl identifiziert ist. Das ist sogar lt. Hirnforschung vollkommen normal. Die kleine rote Lampe im Hirn – die Amygdala – springt an, schlägt Alarm und der Körper wird je nach Charakter in verschiedene Modi versetzt: Fight (Kampf), Flight (Flucht) oder Freeze (Tot stellen). Dies ist noch ein Überbleibsel der steinzeitlichen Evolution und war tatsächlich auch ziemlich hilfreich bei blitzschnellen Entscheidungen. Als der Säbelzahntiger vorm Menschen stand, konnte das Hirn dadurch blitzschnell entscheiden: hau ab, verteidige dich oder stell dich eben tot damit du überlebst. Du kannst dich auch mal selbst beobachten wie du eigentlich hauptsächlich in Streitsituationen mit engen Menschen reagierst: ergreifst du die Flucht, gehst du in den Angriff, haust immer weiter drauf oder bist du vollkommen starr und kannst gar nichts mehr sagen? Das Wissen darüber hat mir auch im Umgang mit Schüler:innen geholfen, da ich in Situationen, die sie getriggert haben, ruhig und freundlich erklären konnte, dass es ggf. ihre Amygdala ist, die gerade anspringt und unter anderem die Hormone Cortisol und Adrenalin ausgeschüttet werden und sie mich gerne später nochmals ansprechen können.
Nun aber zu mir: ich bin auch nur ein Mensch und erlebe selbst mit meinem ganzen Wissen über Psychologie und dem Wissen über die Funktionen des Hirns noch immer Situationen, in denen ich getriggert werde und eben gerade nicht ganz genau weiß was nun los ist, dies jedoch im Nachgang reflektiere. Die Situationen sind zwar ziemlich selten geworden, aber es gibt sie noch immer. Daher möchte ich dir eine Methode von vielen Vorstellen, die ich in herausfordernden Situationen angewendet habe. Ich habe mir tatsächlich die Metta-Meditation innerlich immer heruntergerattert (das hat natürlich keine:r) gemerkt und wurde dadurch freundlicher und ruhiger. Nur was ist die Metta-Meditation?

Was ist die Metta-Meditation?
Die Metta-Meditation ist eine Meditation, die ursprünglich buddhistischer Natur ist. Sie hat verschiedene Phasen und wird auch „liebevolle Güte-Meditation“ genannt. Das Ziel ist Menschen und Lebewesen mit Wohlwollen und Freundlichkeit zu begegnen, indem man beispielsweise durch die ständige Wiederholung der Metta-Meditation Groll gegen eine Person, einen Gegenstand, eine Situation oder was auch immer loslässt. (1,2) Ich finde Folgendes dazu sehr spannend: „Studien belegen neben den positiven Effekten, die bei jeglicher Art der Meditation eintreffen, bei Metta vor allem einen Unterschied in der Hilfsbereitschaft von Menschen, eine Steigerung der Belastbarkeit und ein Rückgang von selbstzerstörerischen Gedanken.“ (2) Erklären kann man sich das mit der sogenannten Neuroplastizität des Hirns. Dieses wird – wie ich bereits vorherigen in Artikeln beschrieben habe – umprogrammiert, durch die Bildung neuer „positiver“ Nervenbahnen. Hierzu forscht im sog. Resource-Projekt das Max-Planck-Institut der Forschungsgruppe soziale Neurowissenschaften (3,4) Eine Forschungsgruppe der Goethe-Universität Frankfurt hat sogar die positiven Auswirkungen dieser Meditation über den Zeitraum von zwei Jahren bei Proband:innen mit chronischen Depressionen untersucht. (4)

Die verschiedenen Phasen der Metta-Meditation
Die Metta-Meditation ist in verschiedene Phasen unterteilt und kann, je nachdem wie du sie praktizierst, bis zu fünf Phasen beinhalten und auch verschiedene Sätze aufweisen. Du kannst als Beginner:in natürlich erst mit einer Phase anfangen: mit der Phase 1 der „Arbeit mit sich selbst“. Du kannst auch alle fünf Phasen unabhängig voneinander praktizieren. So habe ich die Sätze von Phase 4 „Arbeit mit Personen, die du nicht magst oder dich triggern“ in Gedanken wiederholt, ohne, dass ich Phase 1,2,3 und 5 auch in Gedanken wiederholen musste. Allein das Wiederholen dieser Sätze hat mich beruhigt und hierdurch konnte ich netter und wohlwollender dem/der Schüler:in entgegnen. Ich konnte auch dadurch das Problem und das Thema der Person auch an diese Person innerlich wieder an sie zurückübergeben.

Phase 1: die Arbeit mit dir selbst oder Wohlwollen für dich
Der erste Schritt beginnt mit der Selbstliebe oder dem Wohlwollen sich selbst gegenüber, wem der Begriff „Selbstliebe“ zu stark ist. Man kann in der Metta-Meditation folgende Sätze sagen oder auch weitere kreieren oder weglassen, die im persönlichen Kontext besser passen als unten stehende.

Möge ich glücklich sein.
Möge ich mich immer sicher und geborgen fühlen.
Möge ich gesund sein.
Möge ich zufrieden und entspannt sein.
Möge ich frei von allen Sorgen sein.
Ich liebe mich selbst.

Phase 2: die Arbeit mit nahen Personen
In der zweiten Phase überträgt man die oben stehenden Sätze auf eine dir nahe stehende Personen. Vielleicht hast du gerade positive Gefühle, wenn du an diese Person denkst. Dann kann es ganz leicht sein der Person wohlwollend gegenüberzustehen. Vielleicht hat diese Person auch etwas gesagt, das dich gerade ärgert. Dann kann die Meditation oder das Wiederholen von Sätzen (ob innerlich in deinen Gedanken oder laut ausgesprochen) dir dabei helfen der Person wieder positiver gegenüberzutreten. Dies kann helfen ggf. Konflikte ruhig zu klären.
Ab jetzt wiederholen sich die Sätze immer wieder. Dieses Mal sind die Sätze in Du-Form.

Mögest du glücklich sein.
Mögest du dich immer sicher und geborgen fühlen.
Mögest du gesund sein.
Mögest du zufrieden und entspannt sein.
Mögest du frei von allen Sorgen sein.

Phase 3: Die Arbeit mit einer (oder mehreren) neutralen Person(en)
In der dritten Phase kannst du an eine Person denken, der du nicht sehr nahe stehst, oder zu der kein persönliches Verhältnis hast. Dies kann zum Beispiel ein:e Supermarktmitarbeiter:in sein oder ein:e Busfahrer:in. Der Text ist derselbe wie in Phase 2. Er kann auch in „Sie-Form“ verwendet werden, wenn dir das lieber ist.

Mögest du glücklich sein.
Mögest du dich immer sicher und geborgen fühlen.
Mögest du gesund sein.
Mögest du zufrieden und entspannt sein.
Mögest du frei von allen Sorgen sein.

Phase 4: Arbeit mit Personen, die du nicht magst oder dich triggern
Die Phase stellt natürlich die größte Herausforderung dar, da man der Person nicht neutral gegenüber steht und negative Gefühle für die entsprechende Person hegt. Ob man diese nicht „mag“ oder diese nur „Trigger-Gefühle“ in einem selbst auslöst, ist eigentlich egal. Ich persönlich kann nicht von mir sagen, dass ich irgendeine:n Schüler:in nicht „mag“, da ich weiß, dass diese durch ihre Eltern und Umwelt geprägt sind und sie mir in einem professionellen Kontext begegnen. Außerdem meinen die meisten Kids nicht mich selbst, sondern meine Rolle, also die Macht-Position, die sie ggf. ablehnen. Das kann ich sehr gut differenzieren, was aber trotzdem nicht bedeutet, dass die einzelnen Personen nicht einen Nerv von mir treffen könnten und ich gefeit vor herausfordernden Situationen wäre. Der Text bleibt derselbe wie in Phase 2 und 3.

Mögest du glücklich sein.
Mögest du dich immer sicher und geborgen fühlen.
Mögest du gesund sein.
Mögest du zufrieden und entspannt sein.
Mögest du frei von allen Sorgen sein.

Phase 5: Alle bisherigen Personen miteinschließen
Hier schließt man die Meditation entweder damit ab, dass man alle Personen, an die man im Vorfeld gedacht hat, nochmals Wohlwollen entgegnet oder dass man dies auf alle Personen des Erdkreises überträgt. Hier wird dann in der 2. Person Plural gesprochen und ein „ihr“ verwendet.

Möget ihr glücklich sein.
Möget ihr euch immer sicher und geborgen fühlen.
Möget ihr gesund sein.
Möget ihr zufrieden und entspannt sein.
Möget ihr frei von allen Sorgen sein.

Quellen: 
(1) https://ich-will-meditieren.de/meditationstechniken/metta-meditation/#Anleitung_zur_Metta_8211_Meditation 
(2) https://www.7mind.de/magazin/metta-meditation-liebe-mitgefuehl 
(3) https://www.resource-project.org
(4) https://www.social.mpg.de 
(5) https://www.psychologie.uni-frankfurt.de/63425002/Meditationsstudie_bei_chronischer_Depression