Diese Angst ist nicht meine
Vom Überwinden und Entstehen von Ängsten

Angst oder Hoffnung ist der Kitt, der Menschen zusammenhält. Sagt man so. Wobei Hoffnung auch manchmal Angst sein kann vom Altbewährten, das doch mal gut war oder irgendwann gut sein könnte, loszulassen. Beide Gefühle oder Auswirkungen dieser Gefühle sind jedoch meistens nicht Teil der realen Gegenwart, es sei denn wir stehen vor einem Bären in der russischen Wildnis und die Angst, die uns in dem Fall das Leben retten möchte, ist berechtigt.
Angst ist ein Gefühl. Gefühle entstehen im Hirn und sind letztlich nicht mehr als Hormonausschüttungen wie Cortisol, Adrenalin, Noradrenalin. Diese Hormonausschüttungen versetzen ausgehend von einem Sinnesreiz, unser limbisches System, das für die Gefühle zuständig ist, in höchste Alarmbereitschaft. Die Amygdala springt wie eine kleine rote Lampe an und wie in der Situation mit dem Bären in der russischen Wildnis, rennen wir entweder weg, erstarren bzw. stellen uns tot oder wir entscheiden blitzschnell zu kämpfen und uns zu verteidigen. Wenn du dich einmal in (oder besser nach) einem Streit von außen beobachtest, bemerkst du ggf. welcher Angst-Typ du bist: Fight (Kämpfen/Verteidigen), Flight (Flucht/Wegrennen) oder Freeze (Erstarrung und Totstellen). Unser Hirn möchte lediglich in den Situationen, in denen wir den Eindruck haben verletzt zu werden, das Leben retten, obschon wir nicht in der russischen Wildnis leben und auch im Alltag meist nicht vor einem Bären wegrennen müssen. In solchen Situationen, in denen dein zentrales Nervensystem aktiv ist, hilft es sich zu beruhigen und ggf. erst einmal aus der Situation herauszugehen. Denn solange dein Nervensystem und die kleine rote Lampe im Hirn (Amygdala) angeknipst ist, kann man keinen Streit konstruktiv und lösungsorientiert lösen.
Wie Angst entsteht
Angst hat viele Gesichter. Sie erscheint in Form von Schuld, Scham, Hass, Verzweiflung, Unsicherheit, Einsamkeit oder auch Wut. Alle Gefühle können Folge einer tiefer sitzenden Angst sein, die durch Glaubenssätze und erlernte Muster aus der Kindheit oder in späteren Lebensphasen entstehen. Sie sind vielleicht das Resultat eines Verlustes, den man nicht mehr wiederholen will, da man dort so stark verletzt wurde. Als Schutzstrategie schottet man sich vielleicht komplett ab und trennt sich von zwischenmenschlichen Bindungen, bevor man selbst verletzt werden kann. Vielleicht ist man auch eher der Typ, der immer alles richtig machen will und sich zu stark anpasst, aus Angst erneut verletzt zu werden. Man möchte gefallen und versucht sich somit gut darzustellen oder auch nicht anzuecken. Dies kann im beruflichen Sinne häufig zu Burnout führen, da „ich möchte gefallen“ oder „ich muss perfekt sein“ Burnoutantreiber sind, die aus bindungsorientierten Schutzstrategien resultieren. Man arbeitet dann vielleicht immer mehr und mehr oder versucht bloß nicht anzuecken und wenig/keine Konflikte einzugehen, weil man ja unbedingt gefallen möchte, um bloß nicht wieder verlassen oder verletzt zu werden. Sich dessen bewusst zu machen und die eigenen Glaubenssätze aufzudecken bzw. zu bearbeiten, ist der fundamentale Übergang zu einem freien und selbstbestimmten Leben.
Doch was ist, wenn die Angst, die du spürst eigentlich nicht deine eigene Angst ist?
Wie ich schon beschrieb, resultiert Angst aus den erlernten Überzeugungen, die man sich zu eigen machte, da man es vielleicht nicht besser wusste oder auch die Eltern, von denen man erzogen worden ist, es ebenfalls nicht besser wussten. Wir hatten alle unperfekte Eltern, die ihre eigenen Themen hatten, die sie vielleicht hätten aufarbeiten müssen und dennoch ihr dennoch bestes gaben. Und hier beginnt der Clou: Was sind eigentlich DEINE Ängste? Was ist, wenn die Ängste, die du eigentlich meinst zu haben, eigentlich gar nicht deinem Selbst und deiner Überzeugung entsprechen? Was ist, wenn du nur diese Ängste hast, weil dir Menschen in deinem nahen Umfeld nur lange genug einredeten was vermeintlich gut für dich ist, obschon es nicht dir und deinem Leben entspricht ? Dies zu erkennen und sich auf den Weg zu machen zu deinem Kern, der nur dir selbst entspricht, macht innerlich frei. Auf diesem Weg zu sich selbst muss man natürlich lernen Menschen zu Ent-Täuschen, also die Täuschung aufzuheben. Diese Aufhebung der Täuschung ist letztlich nur gut, da sie nur fair dir und anderen gegenüber ist und dich erkennbar und authentisch macht.
Ein paar Beispiele aus meinem Leben
Ich gebe zum Verständnis hier ein paar Beispiele aus meinem Leben. Ich bin in einer sehr klassischen familiären Rollenverteilung auf dem Dorf aufgewachsen (Mutter zu Hause und machte sich finanziell und emotional abhängig von arbeitendem Vater). Mir als Frau wurde natürlich durch die gesellschaftliche Sozialisierung noch ziemlich viel zusätzlicher gesellschaftlicher Bullshit eingetrichtert, dem auch das Beispiel meiner Mutter nicht unbedingt Positives entgegen hielt. Als ich nach Berlin ging, sagten sie und mein familiäres Umfeld mir sehr häufig wie „gefährlich“ doch Berlin sei. Ich traute mich die ersten Wochen, auch wenn ich das versuchte lange von mir emotional „abzublocken“, nicht nach Einbruch der Dunkelheit vor die Tür zu gehen. Jahre später kann ich darüber nur lachen, wie ich mich damals hab von der Angst meines Umfeldes hab leiten und beeinflussen lassen, obwohl diese Ängste nicht meine eigenen waren. Jedoch möchte ich hiermit deutlich machen, dass diese Ängste eben nicht zu mir gehörten. Die Art und Weise der Kommunikation meiner Ursprungsfamilie hinderte mich daran mich selbst zu leben, was ich zu dem Zeitpunkt aus Unwissenheit über die Thematik nicht reflektierte. Auch wenn sie es gut meinten und nur mein "Bestes" wollten, entsprach es nicht meinen Ängsten und hinderte mich daran innerlich frei zu sein. Ich introjizierte diese Projektionen von meinem Umfeld und handelte nach deren Glaubenssätzen und Ängsten.
Anders war es, als ich mit der transsibirischen Eisenbahn bis nach Peking fuhr und dann weiter bis nach Hongkong. Ich wusste durch meine Beschäftigung mit psychologischen Themen über die Thematik und war mir bewusst, dass ich mich vor solchen Aussagen schützen musste. Klar hatte mir die Gesellschaft vermittelt, dass es gefährlich sei als Frau „so weit und dann noch alleine“ zu reisen, wodurch ich natürlich eine Grundangespanntheit in mir trug. Jedoch lies ich mich von meiner Angespanntheit nicht beirren und reiste 12000 km alleine bis nach Hongkong. Durch die Konfrontation mit solchen Situationen, die mir vermeintlich durch ein gesellschaftlich oder familiär vermitteltes Bild Angst bereiten sollten, verschwanden die Ängste nach und nach. Wenn ich jetzt solche Ängste spüre, dann ist meine Antwort: "Jetzt erst recht!", um mich letztlich frei zu machen von solchen Konventionen und Glaubenssätzen, die Menschen nur in sich selbst begrenzen.
Grundsätzlich sollten wir daher achtsam sein, wenn wir an heranwachsende Menschen geraten, in dem was wir ihnen vermitteln und welche vermeintlichen Ängste, die vielleicht unsere eigenen sind, wir weitergeben. Sind es nur unsere Projektionen unserer misslichen Erfahrungen oder Glaubenssätze oder sind diese Ängste wie vor einem Bären vielleicht doch berechtigt?